Sonntag, 2. Juni 2013

Soldaten aus Aachen während des Boxer-Aufstands in China


Soldaten aus Aachen während des Boxer-Aufstands in China

Am 24. Juli 1878 wurde Alfons KAUßEN als Sohn der Eheleute Mathias Josef KAUßEN und Diana Josephina KAUßEN geb. CRAS in Aachen geboren. Wann Alfons der kaiserlichen Armee beitrat konnte ich nicht mehr feststellen. Aufgrund des Dienstgrades wird er wahrscheinlich als Freiwilliger um 1898 zur Marine gekommen sein. Der Nachwuchs für die in Übersee eingesetzten militärischen Einheiten rekrutierte sich überwiegend aus Freiwilligen. Die „Neue Cuxhavener Zeitung“ vom 05.05.1900 veröffentlichte hierzu folgenden Artikel: 

„Im Herbst des Jahres wird eine größere Anzahl Dreijähriger - Freiwilliger für die Seebataillone zur Einstellung gelangen. Die Freiwilligen müssen von kräftigem Körperbau, mindestens 1,65 m groß und von guter Sehleistung sein. Auch wird die Anforderung der Tropendienstfähigkeit an dieselben gestellt, da sie im Frühjahr 1901 nach Kiautschou entsandt werden“. 

Es ist somit wahrscheinlich, dass er sich zum Dienst in Übersee freiwillig meldete und im Jahre 1900 der 4. Kompanie des III. Seebataillons angehörte. Das III. Seebataillon wurde am 26.01.1898 gegründet und war für den militärischen Schutz des Pachtgebietes von Kiautschou bestimmt, welches mit Vertrag vom 06. März 1898 von China erworben wurde. Die Grundausbildung der für das III. Seebataillon bestimmten Rekruten erfolgte in Cuxhaven jeweils im Winterquartal. Im folgenden Frühjahr wurden dann die neu ausgebildeten Soldaten per Schiff nach China transportiert. Die lange sechswöchige Seereise wurde mit Gymnastik, Zielübungen, Exerzieren und Unterricht ausgefüllt. Oftmals kam es jedoch schon bei der Überfahrt zu ersten Verlusten durch Krankheit und Hitze. Insbesondere nach der Durchquerung des Suezkanals litten die Soldaten unter den hohen Temperaturen.

Anfang 1900 war Alfons KAUßEN in Kiautschou (Tsingtau) stationiert, als in China der Geheimbund der „BOXER“ (chinesisch Yi-he quan) die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Fremden im Lande aufrief.  Nachdem die BOXER vom chinesischen Kaiserhof Unterstützung erfuhren, wurde das Klima auch für die ausländischen Gesandtschaften in Peking immer bedrohlicher. Zu ihrem Schutz wurden von den betroffenen Ländern kleinere militärischer Abteilungen entsandt, so auch vom kaiserlichen Deutschland. Unter dem Befehl von Oberleutnant zur See Graf von SODEN machten sich 50 Soldaten des III. Seebataillons aus Tsingtau, darunter auch Alfons KAUßEN, auf den Weg nach Peking, wo sie am 01.06.1900 eintrafen und mithalfen, die dortigen Gesandtschaften zu schützen. Nach der Ermordung des deutschen Gesandten Freiherrn Klemens von KETTELER durch einen chinesischen Feldwebel am 20.06.1900 eskalierte die Lage in Peking. In der Folge kam es zu massiven Angriffen der  BOXER und regulärer chinesischer Truppen auf die ausländischen Vertretungen in Peking, die sich daraufhin im Gesandtschaftsviertel verschanzten. Die Lage wurde noch bedrohlicher, nachdem ein internationales Expeditionskorps (2117 Soldaten darunter 509 deutsche) unter dem Oberbefehl von Admiral Sir Edward SEYMOR am 19.06.1900 seinen Marsch auf Peking aufgeben musste. Am Nachmittag des 23.06.1900 kam es zu heftigen Kämpfen um russische Gesandtschaft. Alfons KAUßEN, Unteroffizier DAUCH und weitere 9 Soldaten der 4. Kompanie wurden den russischen Verteidigern zu Hilfe gesandt. Bei diesen Kämpfen erlitt Alfons KAUßEN eine schwere Verwundung, welcher er am24.06.1900 erlag. In der Geschichte des III. Seebataillons wird dieses Ereignis wie folgt beschrieben:

„Am nächsten Vormittag setzten die Chinesen ihr Feuer gegen die Gesandtschaften fort. Die Russen, in ihrer Gesandtschaft und an der Barrikade auf der Gesandtschaftsterrasse heftig bedrängt, baten uns um Hilfe. Unteroffizier DAUCH, 4. Kompanie, mit 10 Mann ging zur Unterstützung ab; hier kämpfend erhielt der Seesoldat KAUSSEN, 4. Kompanie, einen Schuss durch den Leib, an dessen Folgen er in der Nacht verstarb.“
 
Die Verteidiger in Peking mussten sich noch bis zum Eintreffen eines weiteren Expeditionskorps am 13.08.1900 gedulden. Von den Soldaten des III. Seebataillons wurden 16 verwundet und 11 mussten den Einsatz mit ihrem Leben bezahlen. 

1) Gräber der bei der Verteidigung des Gesandtschaftsviertels gefallenen Soldaten
 
 
2) Bild des Soldaten Alfons KAUSSEN aus Aachen
 
Während Alfons KAUSSEN als Soldat beim III. Seebataillon seinen Dienst versah, befand sich der Matrose Wilhelm OFFERMANN aus Aachen auf dem deutschen Kreutzer S.M.S. KaiserinAugusta vor der chinesischen Küste   Wilhelm wurde am 30. Juni 1877 als Sohn der Eheleute Johann Hubert OFFERMANN und Catharina OFFERMANN geb. PRÜMPLER in Aachen geboren.
Ebenso wie Alfons wird Wilhelm sich wohl freiwillig gemeldet haben. Sein Schiff gehörte als großer Kreuzer (6050 t) zum deutschen Ost-Asien-Geschwader. Es wurde am 15.01.1892 in Dienst gestellt und verfügte über 432 Mann Besatzung. Welche Aufgaben Wilhelm auf dem Schiff wahrnahm, ließ sich nicht mehr in Erfahrung bringen. Auf jeden Fall, gehörte Alfons mit der S.M.S. Kaiserin – Augusta – Kompanie, unter dem Kommando ihres Kapitäns (Korvettenkapitän Buchholz), dem bereits oben erwähnten  internationalen Expeditionskorps unter Sir Edward SEYMORE an. Das Expeditionskorps machte sich Anfang Juni 1900 auf den Weg nach Peking und erreichte am 10.06.1900 den Ort Lo-fa. Dort schloss sich das deutsche Kontingent, also auch Wilhelm OFFERMANN, unter dem Oberbefehl des Kapitäns zur See Usedom dem Expeditionskorps an. Auf dem Weitermarsch kam es am 11.06. und 12.06. zu ersten Gefechten mit den BOXERN. Nachdem der Orte Lanfang erreicht wurde, verstärkten sich die Angriffe und am 18.06.1900 griffen reguläre chinesische Militäreinheiten das Expeditionskorps an. Erstmals wurden hier auch deutschen Soldaten, darunter der Kapitän des S.M.S. Kaiserin Augusta, verwundet. Da die Bahnlinie nach Peking (siehe Karte) zerstört war und sich der Widerstand der Chinesen weiter verstärkte, trat das Expeditionskorps am 19.06.1900 den Rückzug auf Yangtsun an und musste sich dabei heftiger Angriffe erwehren. Die Verluste nahmen weiter zu. Am 21.06.1900 fiel Korvettenkapitän BUCHHOLZ. Am 22.06.1900 kam es beim Hsiku - Arsenal zu schweren Kämpfen in deren Verlauf der bekannte Ausruf „The Germans to the front“ erfolgte und später in dem berühmten Gemälde von Carl Röchling verklärend dargestellt wurde. Auf den Befehl von Sir SEYMORE übernahm das deutsche Kontingent die Spitze des Korps und wehrte alle Angriffe ab. Während der Kämpfe am 22. / 23.06.1900 wurde das Hsiku - Arsenal erobert. Bei diesen Kämpfen wurde Wilhelm OFFERMANN schwer verwundet. Er erlag seiner Verwundung am 24.06.1900, dem gleichen Tag wie Alfons KAUSSEN.
 
Wie der Boxer-Aufstand endete ist bekannt. Sowohl die Gesandtschaft als auch das Expeditionskorps wurden aus ihrer misslichen Lage gerettet. Deutschland entsandte ein weiteres Expeditionskorps unter dem Befehl des Grafen WALDERSEE nach China, welches am 27.07.1900 durch Kaiser Wilhelm II. in Bremerhaven mit der berühmt berüchtigten „Hunnenrede“ verabschiedet wurde und in China bis 1901 blutige Strafexpeditionen durchführte.  Auf einer zeitgenössischen Postkarte findet sich hierzu folgender Reim:

Zu wahren Deutschlands Macht und Ehr, ziehn wir nach China übers Meer. Uns ruft der Feind nunmehr zur Wehr, drum ziehn wir in den Streit. Er findet uns zu Land und Meer in Kampfeslust bereit. Kommt er in hellen Haufen gleich – wir trotzen aller Noth:
Mit Gott für Kaiser und für Reich stehn wir bis in den Tod - Auf Wiedersehn!

Als diese Postkarten in Umlauf kamen waren die Worte für Alfons KAUSSEN und Wilhelm OFFERMANN bereits zur bitteren Wirklichkeit geworden, ein Wiedersehen gab es nicht!

Quellenangaben:

Standesamt:
Auskunft aus Personenstandsurkunden, Schreiben des Standesamtes Aachen vom 08.11.2006
Benutzte Literatur:
Jork Artlet, Tsingtau, Deutsche Stadt und Festung in China 1897-1914
Georg Friederici, Hauptmann a.D. , Berittene Infanterie in China und andere Feldzugserinnerungen
Diana Preston, Rebellion in Peking / Geschichte des Boxeraufstandes
Elmar von Rudolf, Heldenkämpfe in unseren Kolonien
Tsingtau, ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897-1914
C. Huguenin, Geschichte des III. Seebataillions, Tsingtau 1912
Internet:
Bilder:
1 und 3) aus C. Huguenin, Geschichte des III. Seebataillions
2) aus Georg Friederici, berittene Infanterie in China und andere Feldzugserinnerungen
Sonstiges:
Die Kosten für die China-Expedition  betrugen 250 Millionen Mark, was damals durch den Reichstag kritisiert wurde
 vgl. Udo Ratenhof, Die Chinapolitik des Deutschen Reiches 1871-1945.

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